Je schöner die Erinnerung, desto schwerer die Trennung ...
Es gibt nichts, was uns
die Anwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und
man soll das auch gar nicht versuchen; man muss es
einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst
sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost;
denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt,
bleibt man durch sie miteinander verbunden.
Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke
aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie
vielmehr gerade unausgefüllt, und hilft uns dadurch,
unsere echte Gemeinschaft miteinander – wenn auch unter
Schmerzen – zu bewahren.
Ferner: Je schöner und voller die Erinnerungen, desto
schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt
die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt
das vergangene Schöne nicht mehr wie einen Stachel, sondern
wie ein kostbares Geschenk in sich.
Man muss sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich
ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk
nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen
Stunden und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz,
dessen man sich gewiss ist, besitzt; dann geht eine
dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.
(Dietrich Bonhoeffer; Brief an Renate und Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel an Heiligabend 1943)